Sonntag, 25. Juli 2010

Psychopathologisierung – von den Schwulen zu Transsexuellen zu Intersexuellen?

In der Diskussion über das absprechen der Weiblichkeit Tiwonge Chimbalangas durch LGBt und Menschenrechtsorganisationen im Blog Zwischengeschlecht.info ergab sich noch folgende fragende Feststllung durch Seelenlos, auf die ich etwas ausführlicher eingehen will und die ich deshalb damals nicht auf dem Blog kommentierte:

“dass du die vereinnahmungskaskade, unter der zwitter, aber auch transsexuelle leiden, anerkennst, freut mich. nachtrag: wie ich inzwischen sah, sprichst du das thema ja auch auf deinem blog (indirekt) an in bezug, dass die psychiater (m.e. nicht zu verwechseln mit psychologen/psychoanalytikern, deren kunden freiwillig bei ihnen sind und jederzeit gehen können), als sie die schwulen und lesben 1973 gezwungenermassen aus ihrer behandlungsfibel DSM und damit auch aus ihren praxen entlassen mussten, sich dafür einfach die transsexuellen krallten, was viele schwule auch heute noch wenig interessiert. dies hatte auch vincent guillot an der diskussion in zürich sinngemäss so gesagt: die befreiung der schwulen wurde mit der psychiatrisierung der transsexuellen erkauft, und die befreiung der transsexuellen wird mit der psychiatrisierung der intersexuellen erkauft werden (bei DSM-V werden ja zwitter klar verstärkt psychiatrisiert – die bauen schon vor)”

Und da liegt ein Fehler drin. Die DSM-V, wenn sie nach dem aktuellen Entwurf in diesem Bereich entsteht, leistet einen massiven Beitrag zur Entpsychopathologisierung in Bezug auf Intersexuelle.

Leider ist mir nur zu klar, wieso es überhaupt zu dem Gedanken kommt.

Doch dafür ist es Notwendig sich die Geschichte der Psychopathologiesierung vom Phänotyp abweichender Geschlechtlichkeit anzusehen.

Genitalangleichende (allerdings sehr rudimentäre) Operationen gab es schon vor 1973 aber noch wichtiger, auch schon vor John Moneys Behandlungsempfehlungen:

Claudia von zwitterforum.ath.cx schreibt:

Aufgrund der oft misslungenen Operationen jammerten Chirurgen: "It is easier to make hole than to build a pole". Der Psychologe Money lieferte die theoretische Rechtfertigung, immer "a hole" zu machen, wenn es technisch einfacher war. Dahinter versteckten und verstecken sich die Vielen, die kleine Kinder mit medizinisch unnötigen Operationen quälten. Vor Money sehr viel experimenteller als seit Money. Der bekannte Spruch, den Money aufgriff, war ein Ergebnis ihrer gescheiterten Experimente.

Moneys Whiteboardtheorie, nachdem alle nichtkörperlichen Aspekte von Geschlecht reine fragen psychologischer Entwicklung (psychosexuell) sind, hat die chirurgischen, verstümmelnden Herumbasteleien an den Organen intersexueller Kinder also nicht ausgelöst, sondern nachträglich gerechtfertigt. Auch die Chirurgen, die Genitalkorrekturen an Erwachsenen vornahmen, sehnten sich nach einer Rechtssicherheit, denn Kastrationen, die ja meist Bestandteil einer solchen sind, waren in den USA streng verboten.
Diese erhielten sie durch die Schaffung einer psychiatrischen Diagnose. Interessant ist an dieser Stelle auch zu erwähnen, das Agnes, eine transsexuelle Frau, die Hormone ihrer Mutter benutzte, sich bei ihrer Vorstellung bei den Ärzten, mit dem Ersuchen um eine Genitalkorrektur, als körperlich Intersexuell präsentierte und die Wahrheit erst erzählte, als mehrere, dem Thema eigentlich offen gegenüberstehende Spezialisten, Fachartikel über sie geschrieben hatten. Das sorgte für zukünftig grosses Misstrauen auf Seiten von Spezialisten.

Wie Milton Diamond in dem sehr lesenswerten Artikel Clinical implications of the organizational and activational effects of hormones (Seite 623 Hormons and Behavior 55 (2009)) beschreibt:

Suffice it to say, a theory that supported prenatal organization of
adult behavior had little sway among pediatricians, pediatric urologists
and others. The American physician's derived management philosophy
and belief in psychosexual neutrality at birth, spread throughout the
medical world and essentially held from the 1970s. As far as the general
public was concerned it also might be said that nurture was usually
given prominence over nature inpopular discourse of human sexual and
gendered behavior. And this belief, in the public world and in the
scientific world as well, held through the 1980s and into the late 1990s
despite evidence mounting to the contrary.
...
Since no environmental influences could be linked to
this transsexual phenomenon one might have thought itwould be taken
as particularly strong evidence for a theory of sexual development
incorporating some prenatal organization. This did not occur. Instead
transsexualismwas seen as amental problem(Gender Identity Disorder
or Gender Identity Dysphoria) and so recorded in the Diagnostic and
Statistical Manual of the American Psychiatric Association (DSM-IV-TR,
2000). Transsexuals were to be treated, not believed.

Unnötig zu sagen, eine Theorie die pränatale Organisation erwachsenen Verhaltens hatte wenig Einfluss unter Kinderärzten, Kinderurologen und anderen. Die Leitphilosophie und der Glaube der amerikanischen Ärzte an psychosexuelle Neutralität bei der Geburt verbreiteten sich über die Medizinische Welt und haben sich grundsätzlich seit den 70ern gehalten. Was die allgemeinere Bevölkerung anging, so ist hervorzuheben dass für Gewöhnlich Erziehung über Natur in populären Meinungen über Menschliches Sexual- und Geschlechtsverhalten gestellt wurde. Und dieser Glaube, sowohl in der öffentlichen als auch in der Wissenschaftlichen Welt, hielt sich durch die 80iger und bin in die späten 90iger trotz sich stapelnder Beweise für das Gegenteil.


Da keine Umwelteinflüsse mit diesem transsexuellen Phänomen verbunden werden konnten, hätte man meinen können, es wäre ein besonders starker Beweis für die Theorie einer Beteiligung pränataler Organisation der sexuellen Entwicklung. Das geschah nicht. Statt dessen wurde Transsexualismus als psychisches Problem gesehen (Geschlechtsidentitätsstörung oder Geschlechtsidentitätsdysphorie) und so in die DSM aufgenommen. Es musste ihnen eine Behandlung gewährt, aber nicht geglaubt werden..

Das bedeutet. Um die bestehenden Vorgehensweisen zu schützen, wurde die Transsexualität als psychische Störung konstruiert. Ist die Geschlechtsidentität eine Folge von vorliegen “richtiger” Geschlechtsorgane und Erziehung rechtfertigt dies die Vorgehensweise für Intersexuelle und gab nach Diagnose den Chirurgen bei eingewilligten Genitaloperationen eine Rechtssicherheit.

Nun kam es aber vor, dass Intersexuelle eine ursprüngliche Geschlechtszuweisung ablehnten. Um das ganze Konstrukt nicht auffliegen zu lassen, wurden diese in eine eigene Kategorie gepackt: Gender Identity Disorder not otherwise specified; Geschlechtsidentitätsstörung nicht anders Festgelegt…

In der Diagnose zu Transsexualtät muss eine intersexuelle Kondition ausgeschlossen werden. So ist und bleibt eine von den Wünschen der Umwelt abweichende Geschlechtsidentität denn immer eine psychische Störung.

Nachdem Geschlechtsidentität so stets auf der psychologischen Seite und Intersexualität der medizinischen Seite gehandelt wurden konnte man die Wirklichkeit der körperlichen Zusammenhänge lange verschleiern.

Und nun komme ich darauf zurück, warum viele intersexuelle Meinen, es gäbe eine Verschlechterung in der DSM V, denn im derzeitigen Entwurf gibt es keine zwei verschiedenen Diagnosen, sondern eine Intersexualität ist beim Vorliegen einer “Gender Incongruence” nur noch eine Randnotiz in der Diagnose.

Es ist die Vermischung mit den “verrückten” Transsexuellen, die viele Intersexuelle auf die Palme bringt, die bisherige, in den Folgen eher Problematische Diagnose ignorierend.

Ein schönes Beispiel für diese Denkweise findet sich auch in der Kommentarsektion von zwischengeschlecht.info zu einem anderen Artikel von User Einhorn:

Wer will als zwischengeschlechtliches Opfer schon in einem solchen kranken und diffamierenden Diskurs zwischen straffälligen Sexualverbrechern, Transen, die aus welchen hirnstrukturellen Defekten auch immer nach bestialischen Genitalverstümmelungen schreien, Suchtkranken und Psychiatriepatienten ans Licht der Öffentlichkeit treten?!


Gut, soweit wäre es ja erst mal alles wie gehabt. Worin liegt nun die Verbesserung?
Die bisherige Gender Identity Disorder oder Geschlechtsidentitätsstörung geht von einem eindeutigen Geschlecht, sowohl im Körperlichen Ursprung als auf in der Geschlechtsidentität aus. Die eigentliche Störung besteht ein Leben lang, da sie sich immer auf den körperlich festgelegten Ursprung bezieht. Übrigens nicht das “biologische” (dass es so nicht wirklich gibt), sondern das Hebammengeschlecht, dass ja bei Intersexuellen oft willkürlich festgelegt wird.

Gender Incongruence dagegen bezieht sich auf eine Diskrepanz zwischen Geschlechtsidentität und körperlichem Zustand, die Behoben ist, wenn sie nicht mehr besteht.

Es ist also anerkannt, dass eine zwischengeschlechtliche Person auch einen zwischengeschlechtlichen Körper haben kann. Es wird also nicht von einer Fehlentwicklung ausgegangen, wenn das Geschlecht nicht eindeutig ist.

Und das ist eine Revolution.

Besser wird es nur, wenn man das Thema, wie vielfach gefordert, endgültig den Psychopathologen aus der Hand nimmt.