Dienstag, 27. Juli 2010

Die Grenzen der Empathie?

Vor ein paar Wochen entdeckte ich das interessante Blog von Hannelore Vonier, Rette sich, wer kann!

Dort vergleicht sie in einem Beitrag Eigenschaften von Matriarchat, Patriarchat und Web 2.0

Dort verweist sie unter dem Thema Homosexualität auf einem Artikel über die Muxes und Marimacha Mexicos auf einen Buchauszug von "Juchaitán – Stadt der Frauen. Vom Leben im Matriarchat (Veronika Bennholdt-Thomsen) auf ihrer Webseite matriarchat.info .
Muxes sind in Mexico in etwa vergleichbar mit den Kathoe in Thailand oder die Hirja in Indien. Eine Art drittes Geschlecht, in dem Transgender, transsexuelle und intersexuelle Menschen eine halbwegs gesellschaftlich gesicherte Heimat finden können (vgl. Artikelsammlung )

Die Autorin Veronika Bennholdt-Thomsen überschlägt sich dort, in Juchitán fast vor Freude darüber wie gut homosexuelle Männer dort akzeptiert sind. Moment? Homosexuelle Männer? Gerade sprach ich doch noch von Transgendern, transsexuellen und intersexuellen Menschen?

Für Frau Bennholdt-Thomsen sind diese nicht existent. Den ganzen Artikel hindurch spricht sie über die Personen im falschen Geschlecht und beschreibt ihr sein als performanten Akt:
Lachend und mit unverhohlenen Gesten werden die Fremden auf die Muxe's aufmerksam gemacht, was in der Regel völlig überflüssig ist, denn deren Aufmachung und aufreizendes Verhalten sind nicht zu übersehen. Und wie auf viele andere Eigenheiten auch, ist man in Juchitán stolz auf diesen Unterschied. Das ungenierte Hindeuten auf die Muxe's ist Bestandteil des Verhaltenskodex der Akzeptanz. Kreischend freuen sich die Frauen über die anzüglichen Späße und Gesten der " afeminados "‚ der sich weiblich gebenden Männer.”

Und genauso landete die Akzeptanz uneindeutiger Geschlechtsidentität und Körperlichkeiten in Hannelore Voniers Übersicht in der Schublade Homosexuell.

Deshalb schrieb ich einen Kommentar, in dem ich versuchte, Hannelore Vonier zu erklären, das Homosexualität und Geschlechtsidentität, um die es vorangig bei den Muxe und Marimacha geht, nichts miteinander zu tun haben und letztere verschiedenste sexuelle Orientierungen haben. Darüberhinaus die Einordnung in ein 3. Geschlecht für transsexuelle und intersexuelle Menschen nicht unbedingt ihrem Menschenrecht auf Selbstbestimmung entspricht (für Transgender und einige intersexuelle Menschen jedoch schon).

Jedoch zeigte sich, das Hannelore Vonier eine sehr strenge Kommentarphilosophie hat und Kommentare freigeschaltet werden müssen, was sie nicht tat.

So richtig zu ihrem Fürsprechen den Prinzipien des Matriarchats, die sie aufführte und teils auch Web 2.0 zuordnete, wie eine hohe Bewertung von Neuem und Unbekanntem, Selbstregulierung, Selbstbestimmung, Individualismus und Ablehnung von Lob/Tadel und Hierarchie wiederspricht. Aber gut, sie führt es auf, sie heisst es gut, aber sie muss es ja nicht leben.

Letztlich fragte ich sie nach dem Grund, warum sie diesen Kommentar nicht freigeschalten hat.

Ihre Antwort lies lange auf sich warten, und sie viel Knapp aus.

“Du hast da ein Statement abgegeben, mit dem ich nichts anfangen kann. Sieht so aus, als wärst du mir nicht ähnlich: http://rette-sich-wer-kann.com/bist-du-mein-publikum/

Ähnlich… hm. Tatsächlich nicht unbedingt. Meine Kommentare musste ich bislang nicht moderieren, um die dargebotenen Informationen vor allen Zweifeln zu schützen. Dennoch war ich sehr enttäuscht, unter anderem deshalb, weil Hannelore Vonier in ihrem Blog gerade das Thema Empathie beleuchtet unter anderem präsentiert sie folgendes Video:


Und dort wird darauf eingegangen, wie Empathie funktioniert:
Durch das Nachvollziehen der Gefühle eines anderen durch die eigenen Erfahrungen. Gleichzeitig ist die Empathie einer der wichtigsten Instinkte, mit dem sich ein Gemeinschaftsgefühl bildet.

Und so versagt die Empathie in Bezug auf eine andere Geschlechtlichkeit, denn eine Cis (Nichtbetroffene) Person ist sich der Geschlechtsidentität nicht bewusst und sucht so nach allen möglichen Erklärungsmustern, die sich mit vergangenen Erfahrungen verbinden lassen.
Zwar mögen Hannelore Vonier und Veronika Bennholdt-Thomsen nicht unbedingt selbst Homosexuell sein, ihnen sind aber sicher schon Drag Queens oder Butch-Lesben begegnet – und so rechnen sie diese Erfahrung “hoch”. Auch in LGB Kreisen herrscht oft die Meinung, Transsexualität sei nichts anderes als selbsverleugnende Homosexualität, so dass Betroffene ihr Geschlecht der sexuellen Orientierung anpassen. Unter Transvestiten glaubt man gerne, Transsexuelle wären Transvestiten, die ihr spezielles Vergnügen Real machen, teils leitet sich daraus sogar fehlgeleitete Bewunderung ab.
Aber auch ich bin dieses Verbrechens Schuldig. So bin ich davon ausgegangen, dass sich Transsexualiät für alle Betroffenen ziemlich gleich darstellt, bis ich lernte, anderen zuzuhören und so endlich entwirren konnte, warum ich in Foren teils ziemlich Schräge Antworten und Meinungen bekam, die ich zuerst gar nicht Nachvollziehen konnte. Dazu werde ich demnächst einen eigenen Artikel schreiben.

Gottseidank kann man Empathie lernen, aber dazu müssen sich Menschen, die sich z.B. mit Transsexuellen befassen, sich von dem Gedanken frei machen, es seien Männer, die eine Geschlechtsumwandlung suchen, oder eine effimierte Rolle spielen, wen von Frauen des Transspektrums oder intersexuellen Frauen mit maskulinem Phänotyp die Rede ist – und sich die simple Wahrheit klar machen – Diese Menschen wollen sie selbst sein, diese Menschen brauchen einen stimmigen Körper.

Sonst kann die Empathie sogar zur Falle werden. Wie eine Freundin mal über ihren Vater schrieb:
”Er findet dich ja nett und alles, aber jedesmal wenn wir auf das Thema kommen, gruselts ihn und er sagt, er würde jeden Umbringen, der ihm den Penis abschneiden will.”

Und wenn ich sowas höre denke ich jedes mal; “du bist doch schon halb da?” Offensichtlich kann er sich ja sehr gut in die Rolle eines transsexuellen Mannes oder eines intersexuellem Opfer frühkindlicher Verstümmelung hineinversetzen.

Aber es geht nicht. Wenn der erste Schritt nicht stimmt, kann der zweite nicht folgen.

Und noch etwas. Das Veronika Bennholdt-Thomsen keine empathische Verbindung zu den Muxe aufbauen kann, zeigt sich auch darin, dass es für sie kein “wir” gibt: Sie berichtet über die Frauen, als seien es Touristenattraktionen.

Und Hannelore Vonier bringt es auf den Punkt: “Wir sind uns nicht ähnlich”.