Freitag, 14. Mai 2010

Psychosoziale Entwicklungsstörung?

In einem LGBT-Forum hatte ich kürzlich eine Diskussion darum, ob nun Homosexualität in der Psychoanalyse immer noch als psychosoziale Entwicklungsstörung gesehen wird.

Tatsache ist, dass 1973 nach massiven Protesten Homosexualität (als solche) als psychische Störung aus dem Diagnostischen Manual der Psychologenvereinigung APA (DSM) entfernt wurde.

Das ist aber für sich genommen nur eine Frage der Klassifizierung, nicht aber des Grundsätzlichen Modells der Psychoanalyse, die eine sogenannte psychosexuelle Entwicklung mit verschiedenen Stufen der Entwicklung, die auch durch äussere Einflüsse gestört werden können, stattfindet und die Sexualität eines Menschen fixiert. Es ist nicht eine von vielen Theorien der Psychoanalyse, es ist deren Grundlage. Für die Psychoanalyse entstehen "normabweichende" sexuelle Ausrichtungen und "Geschlechtsidentitäten" durch störungen in einem normalen Entwicklungsablauf.

Die Person, mit der ich Diskutiert habe, meint nun, sämtliche Psychoanalytiker und sämtliche Fachbücher/-artikel die sie gelesen hat, würden Homosexualität nicht als solche Betrachten - und erklärt meine Aussage, die Psychoanalyse sehe Homosexualität auch heute noch als Ergebnis einer psychosozialen Entwicklungsstörung, damit zur Lüge, oder sagen wir mal höflicher "Überreaktion".

Nun habe auch ich eine Menge Fachmaterial gelesen und bin zu eben diesem Ergebnis gekommen. Die interessante Frage ist also - wieso kommen wir da zu so unterschiedlichen Schlüssen?

Ich denke das liegt an der Ausgangssituation. Ich lese natürlich vor allem Material, dass sich um Transsexualität und Transgender Themen bewegt, während ihr Kontakt mit der Zunft wahrscheinlich wenig von diesem Thema geprägt war.

Und in mir keimt der Verdacht auf, dass sich die Analytiker, die zuvor mit Freude Homosexualität pathologisiert haben sich nach dem Maulkorb auf das Thema TS/TG gestürzt haben.

International sind das z.B. Leute wie Kenneth Zucker (Verbindungen zu NARTH), Ray Blanchard oder J. Michael Bailey.
Im deutschsprachigen Raum ist es vor allem der Kreis in und um die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung mit Leuten wie Volkmar Sigusch (im Unruhestand), Friedemann Pfäfflin oder Sophinette Becker.

In deren Texten wird Homosexualtität und Transsexualität dann gerne vermischt, indem zumindest ein Teil der Transsexuellen als homosexuell Motiviert (nicht durch unterdrückte Homosexualität) bezeichnet wird. Ganz plump und kurz gefasst sei die Motivation dieses Teils der Transsexuellen durch den Wunsch geprägt, mit hetereosexuellen Männern zu schlafen.

In der Begründung wird dann eben über psychosexuelle Entwicklung gesprochen und dass die Fehlentwicklung, die zu Homosexualität führt unter ein paar Bedinungen auch in die Transsexualität führt (gewissermassen zwei mal falsch abgebogen).

Aus den Augen, aus dem Sinn



Die (Unter-)Diskussion in jenem Thread begann damit, dass jemand meinte, Psychoanalyse wäre eh nicht als Wissenschaft anerkannt und hätte für die Praxis keine Relevanz. Auch wenn das für den Blick Homosexueller ein Stück weit zutreffen mag, sieht es für Transsexuelle ganz anders aus.

Diese "Forscher" arbeiten als Gutachter, Therapeuten, schaffen Behandlungsstandards für Transsexualität (deutsche "Standards of Care") und nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung.

Wenn man so wenig über das Thema Homosexualität aus dieser Richtung hört, dann auch deshalb, weil es für Behandlungen keine Relevanz hat, was ja auch so sein sollte. Aber ich denke vernachlässigen sollte man es keine Sekunde - auch nicht aus dieser Perspektive. Das fängt mit "Gender Identity Disorder in Childhood" an, dass hauptsächlich homosexuelle Kinder in reparative Therapien drängt (von denen viele Homosexuelle gar nichts wissen) und wird bei jedem Versuch wichtig, die rechtliche Lage sexueller Minderheiten zu verbessern. Zum Beispiel beim Thema Adoption.