Sonntag, 30. Januar 2011

Das TSG ist gefallen. Jetzt sind alle TG, TS und IS Verbände in der Pflicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Operationszwang zum Erlangen einer Personenstandsänderung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das ist gut und das ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Menschenrechte derer, deren körperliche Integrität nicht den Anforderungen an ein phänotypisch binäres Geschlecht entspricht. Damit ist offiziell fast jeder Punkt des Transsexuellengesetzes als Verfassungswidrig erklärt worden.

Denkt man zumindest erst mal.

Denn wenn man die Urteilsbegründung liest, kann man daraus nichts als einen herben Rückschlag für die geschlechtliche Selbstbestimmung herauslesen.

Was mir mit am stärksten aufgestossen ist, ist die juristische Stärkung des Hebammengeschlechts. Des Geschlechts, dass nach kurzer Sichtprüfung einem Kind zugewiesen wird:

"Der Gesetzgeber kann bei der Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen grundsätzlich von dessen äußeren Geschlechtsmerkmalen zum Zeitpunkt der Geburt ausgehen und die personenstandsrechtliche Anerkennung des im Widerspruch dazu stehenden empfundenen Geschlechts eines Menschen von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen. Da das Geschlecht maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten sein kann und von ihm familiäre Zuordnungen abhängig sind, ist es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen, ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit möglichst zu vermeiden und einer Änderung des Personenstands nur stattzugeben, wenn dafür tragfähige Gründe vorliegen und ansonsten verfassungsrechtlich verbürgte Rechte unzureichend gewahrt würden. Dabei kann er, um beliebige Personenstandswechsel auszuschließen, einen auf objektivierte Kriterien gestützten Nachweis verlangen, dass die selbstempfundene Geschlechtszugehörigkeit, die dem festgestellten Geschlecht zuwiderläuft, tatsächlich von Dauer und ihre Anerkennung für den Betroffenen von existentieller Bedeutung ist. "

Es wird also alles andere als Selbstbestimmend davon ausgegangen, dass ein Hebammengeschlecht immer richtig ist und dessen Unrichtigkeit erst einmal bewiesen werden muss. Das ist Futter für die Verteidiger frühkindlicher Zuweisungen (auch Verstümmelungen genannt), die sich im Konstrukt des “Psychosexuellen Notfalls” nun einmal mehr auf die juristische Notwendigkeit einer solchen “Verdeutlichung” berufen können.

Auch können Zuweisungen entgegen dem gelebtem Geschlecht, die nicht für eine Personenstandskorrektur nach Personenstandsgesetz ausreichen und davon Betroffene, die über das Transsexuellengesetz behandelt werden natürlich einmal mehr Regeln unterworfen, die so für andere Menschen beim besten Willen nicht gelten und für mich schon einen krankhaften Zug haben.

"Für ein Leben des Betroffenen im anderen Geschlecht ist eine Angleichung seiner äußeren Erscheinung und Anpassung seiner Verhaltensweise an sein empfundenes Geschlecht erforderlich. Dies wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden kann."

Einmal mehr kann man sagen, hier handelt es sich ja ausschließlich um ein Gerichtsurteil, dennoch findet hier die International nicht anerkannte Behandlung nach den Vorgaben der deutschen Standards of Care Eingang in ein juristisches Schriftstück. Man muss sich leider nicht weiter darüber wundern, denn als “Fachleute” waren genau jene Psychoanalytiker zur Stelle, die auch das TSG und die deutschen Behandlungsstandards entworfen haben.

Ironischerweise meinte ein wohlmeindender Pressekommentar, genau dieser Unsinn sei damit abgeschafft worden:

Juristische Geschlechtsanpassung

Das Recht hat zu einem seltsamen Bild von Transsexuellen in Deutschland beigetragen. Es hat die Transsexuellen gezwungen, schon vor einer Operation oder Hormonbehandlung ein Jahr lang in den Kleidern des Zielgeschlechts herumzulaufen. Die Menschen wurden genötigt, sich selbst zu verhöhnen.

Schön wäre es, aber es tut schon gut, wenn Außenstehende die Unsinnigkeit dieser Travestie wenigstens sehen können.

ATME hat in seiner Presseerklärung ganz gut aufgeführt, wie Karlsruhe sich zwar am Grundgesetz, aber weniger an den, auch schon von EU Menschenrechtskommisar Thomas Hammarberg angemahnten Menschenrechten für Betroffene orientiert.

Ganz besonders wichtig ist dem Verfassungsgericht denn auch die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau – und dass ist leider eine der schlimmsten Nachrichten.

Trotz zunehmender juristischer Gleichstellung der Geschlechter scheint es genau dieser Punkt zu sein, der die Abschaffung des juristischen Geschlechts unmöglich macht. Und wenigstens ein Geschlechtseintrag Other (undefiniert) wie er durch das internationale Passrecht vorbereitet ist? Siehe das erste Zitat.

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In meinem Beitrag Frust hatte ich schon darüber geschrieben:
Man sollte meinen, das Transgender, transsexuellen Menschen und intersexuellen Menschen ein gemeinsames Ziel am Herzen liegt:
Geschlechtliche und körperliche Selbstbestimmung

In Bezug auf die Gestaltung dessen, was das TSG ersetzen wird sind alle in der Pflicht. Intersexuelle dürfen nicht meinen, das trifft sie nicht, da es ja um Transsexuelle geht. Transsexuelle (im Sinne von pro OPs)  dürfen sich nicht auf das TSG als Privileg berufen, wie ich das verschiedentlich erlebt habe. Und Transgender dürfen nicht so tun, als sei einzig Judith Butlers Auftrag bindend, Gender-Trouble zu stiften.

Die deutsche Kaste der Sexologen, die gleichsam viel Leid über, sagen wir mal außergewöhnlich Geschlechtliche, gebracht haben, dürfen nicht einfach ein weiteres mal die bestimmenden Experten für ein Gesetz sein, und sich dabei auf Ideen berufen, die die Massenvernichtungswaffen des Iraks als PR-Gag alt aussehen lassen.

Ich verlange, und ich weis, eigentlich steht mir das nicht zu, eine Zusammenarbeit von:
Trans Inter Queer, ATME, Zwischengeschlecht e.v., DGTi, XY-Frauen, IVIM (OII Deutschland) und und und…
Denn ob es gemocht wird oder nicht, ob es gewollt wird oder nicht, es Betrifft alle.

Comments (7)

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Tanja Werdenberg's avatar

Tanja Werdenberg · 739 weeks ago

Ein guter, scharfsinniger und weitsichtiger Kommentar. Der Stamm der "außergewöhnlich Geschlechtlichen" hat eben aber einige Clans. Da gibt es den Clan der klassischen Transexuellen, der steht auch üblicherweise im Mittelpunkt des (medialen) Interesses. Und der hat das vitale Eingeninteresse, sich die Leistungen der solidarischen Krankenversicherungen zu erhalten, und dazu bedarf es vor allem zweier Fakten: Es muss 1. zwei Geschlechter geben, denn ohne Cis kein Trans, und 2. "Transsexualität muss Krankheit bleiben!", wie der Schlachtruf besagten Clans lauten könnte. Notfalls, ja notfalls auch eine psychiatrische Diagnose, und da geben sich eine Fraktion der Betroffenen und die Kaste der Psycho-Menschen schon mal mehr oder weniger freudig die Hand. Und es schaut nicht so gut aus mit der allgemeinen Solidarisierung!
Alexandra Galle's avatar

Alexandra Galle · 739 weeks ago

Da möchte ich meiner Vorrednerin beipflichten,: Es es is ist mit der Solidarität nicht weit her! Denn wir haben es mit einigen Fundamentalisten zu tun, gut das ist bverständlich, macht es aber schwer und dann haben wir noch so ein Paar Heckenschützen, die aus längst überrannten Stellungen feuern (Gut dann wohl das letzte mal) aber immerhin.

Wir brauchten gute Diplomaten dazu, denn WIR sind die Zivilisten, die im Kessel der schlacht dem kollateralschaden zum opfer fallen werden.

Das vergessen all jene Fundametalisten, auch die von der
Cammorrapsychoanalytica.

LG.. Alex..andra
"Ganz besonders wichtig ist dem Verfassungsgericht denn auch die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau – und dass ist leider eine der schlimmsten Nachrichten."

Muss dem Bundesverfassungsgericht ja auch wichtig sein, steht schließlich so im Grundgesetz und bei Historischer Auslegung wird man es kaum anders definieren können. Da muss wohl eher der (verfassungsgebende) Gesetzgeber ran, also die Politiker.
3 replies · active 664 weeks ago
Hallo Christian.

Das stimmt so eigentlich nicht, im Grundgesetz steht nur folgendes:
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Mir konnte immer noch niemand schlüssig erklären, wie die Ehe ohne Geschlechtsspezifiierung dieselbe gefährden soll.

Es gefährdet höchstens die Glaubwürdigkeit der üblichen Schmähung, Homosexuelle wären ausschliesslich Promiskuitiv und könnten nicht lieben.

Nimmt man den zweiten Punkt noch dazu, den Schutz der Famillie, so wird die Bildung einer solchen für Homosexuelle sogar nocht verhindert.

Eine seltsame Vorstellung von Schutz.
Tanja Werdenberg's avatar

Tanja Werdenberg · 739 weeks ago

Das Grundgesetz setzt, wie alle Verfassungsordnungen von vor, sagen wir, 2010, einen bestimmten Begriff der Ehe voraus, etwa den des § 44 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811/12: "In dem Ehevertrage erklären zwey Personen verschiedenen Geschlechtes gesetzmäßig ihren Willen..." Bingo! Etwas anderes als eine Ehe zwischen Mann und Frau konnte sich doch, seien wir ehrlich, vor 1970 oder so niemand vorstellen (auch kein Schwuler und keine Lesbe). Erst mit der Dekriminalisierung der Homosexualität wurde so etwas überhaupt denkbar!

Halten wir also fest: Ehe im Sinne des Grundgesetzes = Hetero-Ehe. Was bin ich froh, dass die österreichische Bundesverfassung, so bruchstückhaft, unvollkommen und unsystematisch, wie sie eben ist, keine solch explizite "Ehegarantie" kennt (nur das Recht auf - wiederum explizit heterosexuelle - Eheschließung gemäß Art 12 EMRK)!

Natürlich hast du aber auch Recht: Es wird hier in Wahrheit keine Institution verteidigt sondern eine Vorstellung davon, wie die Welt auszusehen hätte, die in konservativen Köpfen steckt.
Nun, man könnte auch mit dem Begriff der "Ehe" aus Art. 6 GG juristisch (z.B. als Verfassungsrichter) genauso umgehen wie mit anderen Begriffen (z.B. dem "Sittengesetz" aus Art. 2 Abs. 1 GG).

Dort hat das BVerfG nämlich durchaus Entwicklungen spät aber doch nachvollzogen (z.B. in der Rechtsprechung zur Strafbarkeit der Homosexualität - früher die selbe noch als verfassungskonform bestätigt, eben unter Bezug auf das "Sittengesetz", heutzutage eher Gleichstellung wegen der Nähe der sexuellen Orientierung zu den aufgezählten Merkmalen in Art. 3 III GG).

Ich denke, manche Denklinien (und Tatsachenfeststellungen) könnte man - trotz des im Detail sehr verschiedenen Rechtsrahmens - durchaus auch, wenn man wollte, von z.B. dem Urteil des Richters Walker aus Kalifornien (Perry v. Schwarzenegger, N.D.Cal 2010) übernehmen: Dass "Ehe" das "fundamentale Recht der Ehe" schützt (in den USA als unaufgezähltes Recht unter dem 14. Verfassungszusatz, hier eben in Art. 6 I GG ausdrücklich). Aber dass die Beschränkung auf "Mann/Frau" genauso zeitgebunden, also nicht Ehe-an-sich ist wie die Beschränkung auf "Ehe-unter-Weißen" (dort) oder hier de-facto früher noch konfessionsgleich (wenn auch das Rechtssystem dies nicht tat).

Mal ehrlich: Die *Bevölkerung* redet heutzutage von heiraten, wenn lesbische/schwule Paare die eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen, und sind sich der rechtlichen Benachteiligungen oft gar nicht bewusst (die man dann ggf. höchstens einzeln weggeklagt bekommt, und dann eben nur wegen Art. 3 I/III GG, nicht wegen Art. 6 I GG, weil das BVerfG eben nicht den selben Mut hat wie die Kläger/innen und Richter Walker in Kalifornien).
"Mir konnte immer noch niemand schlüssig erklären, wie die Ehe ohne Geschlechtsspezifiierung dieselbe gefährden soll."

Weil hier Schutz nicht nur so verstanden wird, dass Gefahren abgewendet werden, sondern diese auch besonders gefördert wird. Wenn man anderen Instituten nun genau die gleichen Rechte zuspricht, dann besteht eben kein "besonderer Schutz" mehr.

Von mir aus könnte der Ehebegriff im übrigen durchaus erweitert werden.
Ich wäre allerdings auch dafür, bestimmte Vorteile eher an Kindern festzumachen als an der reinen Ehe/Partnerschaft. Den warum Personen, die sich versichert haben, dauerhaft gemeinsam zu leben, besondere Vorteile haben sollen sehe ich eigentlich nicht.

Das man bei Kindern, die ja auch Kosten verursachen, Zugeständnisse macht, das würde ich hingegen verstehen. (können dann natürlich auch adoptiert sein).
Ich denke, dass ein Teil der Vorschriften einfach auf der Vorstellung Ehe= Kinder beruht (die eben auch falsch sein kann, aber andererseits in den meisten Fällen auch zutreffen wird) und man die Weitergabe von Vorteilen an Paare, bei denen diese Voraussage eher nicht zutreffen wird, weniger einsieht.

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